Neustadt im Mittelalter

Erste urkundliche Erwähnung der Stadtteile

Einges berichtet Dr. Hubert Höing im folgenden Beitrag „Erinnern für die Zukunft“. Zuverlässige Quelle zur Datierung ist: Niedersächsisches Ortsnamenbuch, hg.v. Jürgen Udolph. Teil I: Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt Hannover, von Uwe Ohainski und Jürgen Udolph,  Bielefeld 1998 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universiät Göttingen 37). Bezug ist die älteste überlieferte schriftliche Quelle. Beispielsweise für Stadtteile Neustadts:  Averhoy, Basse, Empede, Metel, Scharrel, Scharnhorst, Suttorf, Mariensee sowie Ohlendorf und Hoher Hof, zwei Wüstungen bei Basse

Der Grinderwald

Heutzutage vorrangig ein Naherholungsgebiet mit vielen Wanderwegen, war das Waldgebiet   vom Mittelalter bis zur Neuzeit die existentielle Lebensgrundlage für die Einwohner von 12 angrenzenden Dörfern. Die historische Bedeutung des Waldgebietes in früheren Jahrhunderten wird hier zusammengefasst.

Erinnern für die Zukunft

Dokumente aus dem Stadtarchiv. Eine Ausstellung zur 800-Jahrfeier der Stadt Neustadt a. Rbge vom 4.-13. September 2015
Einführung zur Eröffnung am 4.9.2015
von Dr. Hubert Höing

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste!
Als ehrenamtlicher Archivar der Stadt Neustadt a. Rbge. begrüße ich Sie herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung.
Vor ziemlich genau 800 Jahren betrat Neustadt die Bühne der Geschichte. Die „Geburtstagsfeiern“ streben ihrem Höhepunkt entgegen: Hier und heute werden zwei Ausstellungen zur Geschichte eröffnet. In der ersten, die der Arbeitskreis Regionalgeschichte und die Geschichtswerkstatt zu verantworten haben, werden unter dem Titel „Ansichten von Neustadt a. Rbge.“ Bilder mit Texten zur sozialen, politischen und architektonischen Geschichte der Stadt gezeigt, in der zweiten Ausstellung, die unter der Ägide des Archivs der Region Hannover vorbereitet wurde, werden Original-Dokumente aus dem Stadtarchiv gezeigt. Als besondere Attraktion wird das Original des Schriftstücks präsentiert, auf das das Jubiläum zurückgeht: die Urkunde, in der Neustadt erstmals genannt wird.
Wenn wir die „Geburtsurkunde“, wie wir dieses Schriftstück nennen könnten, verstehen wollen, sollten wir uns in die damalige Zeit zurückversetzen. Kommen Sie also mit auf eine gedankliche Reise in das Land an der unteren Leine um das Jahr 1200.
Die Zeit, um die es geht, war eine Epoche des Umbruchs – politisch, wirtschaftlich und religiös.
In Norddeutschland besaß Heinrich der Löwe (1129-1195) als Herzog von Sachsen eine herausragende Stellung. Nachdem Heinrich aber 1180, auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, durch Kaiser Friedrich Barbarossa gestürzt und verbannt worden war, versuchten lokale Adelsfamilien, die im Besitz des Grafenamtes waren, das entstandene Machtvakuum auszufüllen. Zu ihnen gehörten im Mittelwesergebiet u. a. die Grafen von Dassel, von Spiegelberg, von Hallermunt, von Schaumburg, von Roden, von Hoya und die Grafen von Wölpe. Sie alle sahen nun die Gelegenheit gekommen, aus ihren verstreut liegenden Gütern und Rechten ein geschlossenes Territorium zu bilden.
Vor diesem politischen Hintergrund gingen sie daran, den Landesausbau systematisch voranzutreiben: brachliegendes Gelände wurde gerodet, um es landwirtschaftlich zu nutzen; zur Förderung der Wirtschaft wurden planmäßig Städte gegründet; an den Verkehrswegen (Straßen und Flüssen) sowie an den Landesgrenzen wurden Burgen errichtet, die der Sicherung von Handel und Wandel dienten. Es wurden Klöster gestiftet, die als Grablege und Gedenkstätten für verstorbene Familienmitglieder gedacht waren sowie als Versorgungseinrichtungen für nachgeborene Söhne bzw. unverheiratete Töchter und nicht zuletzt als Bildungszentren und landwirtschaftliche Musterbetriebe für die ländliche Bevölkerung dienten.
Zu den erfolgreichen Vertretern dieser adeligen Familien gehörten die Grafen von Wölpe, deren Zentrum und Hauptsitz die Burg Wölpe war. Ãœber ihre Geschichte ist wenig bekannt. Sie waren mit dem Edelherrn Mirabilis verwandt, der wie auch die Wölper Grafen im Raum zwischen Minden und Stadthagen begütert war. Die Burg Wölpe wurde im 19. Jh. abgerissen. Ãœbriggeblieben ist ein baumbestandener Schutthügel in Erichshagen bei Nienburg, der z. Zt. archäologisch untersucht wird.
Eine zweite Burg besaßen die Wölper Grafen in Drakenburg an der Weser. Doch schon Ende des 12. Jh. scheinen sie ihre Residenz nach Neustadt an den strategisch wichtigen Leineübergang des Fernhandelsweges von Hannover nach Bremen verlegt zu haben. Graf Bernhard von Wölpe, der wohl von 1176 bis 1221 lebte und in Diensten Heinrichs d. L. und der Mindener Bischöfe stand, war wohl derjenige, der im Schatten dieser Burg zur Förderung der Wirtschaftskraft seines Herrschaftsgebietes eine „civitas“ anlegte, in der sich Leute aus den umliegenden Dörfern ansiedelten. Langsam aber sicher entwickelte sich hier (im Schutze der Burg) eine befestigte Siedlung, die indessen bis in die neuere Zeit über die Größe einer Kleinstadt nicht hinauskam. Nach dem Aussterben der Grafen in männlicher Linie wurde 1302 die Grafschaft Wölpe mitsamt Burg und Stadt Neustadt an die Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg verkauft.
Es gibt Anzeichen dafür, dass sich Graf Bernhard und seine Frau Sophie, die drei Töchter hatten, schon 1201 keine Hoffnung mehr machten auf männliche Nachkommen. Für den tief religiösen Bernhard war das ein Grund, sich über das Leben nach dem Tod Gedanken zu machen: Wo sollten seine sterblichen Ãœberreste einmal standesgemäß ruhen? Was bliebe von ihm, wenn er nicht mehr auf dieser Welt ist? Wie könnte er Vorsorge treffen für seine Töchter im Falle, dass sie unverheiratet blieben?
Vorbilder fand er in der Umgebung. Um 1163 stiftete Graf Wilbrand von Hallermunt das Zisterzienserkloster in Loccum. Im nahen Barsinghausen hatten die Grafen von Schwalenberg 1193 ein eigenes Kloster und Graf Konrad von Roden 1196 im benachbarten Marienwerder ein Hauskloster für seine Familie gestiftet. Dem wollte Graf Bernhard nicht nachstehen; auch er war erfüllt von dem religiösen Reformeifer des 12. Jahrhunderts, der zu einer regelrechten „Gründungswelle“ von Klöstern führte.
Eine günstige Gelegenheit bot sich dem Grafen Bernhard, als sich herausstellte, dass das Nonnenkloster in Vornhagen bei Stadthagen an einer Stelle gegründet worden war, die sich als ungeeignet erwies. Dieses Konventes nahm sich Graf Bernhard an und verlegte ihn im Jahr 1207 oder kurz danach an seinen Hof in Catenhusen. Das Kloster erhielt den Namen Mariensee, und der alte Hofname verschwand schon bald.
Mit Urkunde vom 19. September 1215 stimmte der Bischof von Minden dem Ortswechsel und der Verlegung nach Mariensee zu. Die eigentliche Stiftung samt materieller Ausstattung erfolgte jedoch durch die Urkunde vom 27. Dezember 1214. Darin schenkt Graf Bernhard von Wölpe dem Kloster Mariensee seinen Hof in Catenhusen, ferner Zehnten in Schneeren, in Stöckendrebber und in Otternhagen, eine Mühle in Neustadt und die Kirche in Basse sowie anderes mehr. Als Zeugen treten unter anderem Volbrecht von Niedernstöcken, Eckard von Mardorf, Hartmann von Empelde, Heinrich von Tiesenhausen und Friedrich von Wedel auf.
In dieser Urkunde wird unser Neustadt („Nova Civitas“) erstmals erwähnt, so dass man zu Recht davon sprechen kann, dass mit diesem Dokument Neustadt das Licht der Geschichte erblickt. Die Urkunde vom 27. Dezember 1214 wird dadurch zur „Geburtsurkunde“ von Neustadt und mehreren Dörfern, die seit 1974 zur vergrößerten Stadt „Neustadt am Rübenberge“ gehören: von Basse, Empede, Mardorf, Niedernstöcken, Otternhagen, Schneeren und Stöckendrebber.
Sie haben richtig gehört: Die Urkunde datiert vom 27. Dezember 1214. Sie ist in lateinischer Sprache verfasst; die Datierung am Ende der Urkunde erfolgt nach dem Römischen Kalender. Sie lautet (ins Deutsche übersetzt): „Geschehen ist dies im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1215 am sechsten Tag vor den Kalenden des Januar“. (Die Kalenden sind der erste eines Monats). Wenn aber das Tagesdatum zwischen dem 25. und dem 31. Dezember liegt, ist bei der Auflösung der Jahresangabe in mittelalterlichen Urkunden Vorsicht geboten. In den meisten Ländern – so auch im Bistum Minden, zu dem unsere Gegend gehörte – fand der Jahreswechsel am Weihnachtsfest statt. Demnach ist nach dem heute gebräuchlichen gregorianischen Kalender der Jahresbeginn gegenüber dem Urkundentext um ein Jahr zurückzurechnen.
Diese Regel ist von den meisten Autoren, die sich über die Anfänge des Klosters Mariensee und der Stadt Neustadt verbreitet haben, nicht beachtet worden. Wohin man auch blickt, wird das Jahr 1215 als Datum der Urkunde angegeben. Erst die Bearbeiter der Quellenedition „Die Urkunden des Neustädter Landes“ aus dem Jahr 2002 weisen darauf hin. Und Komplimente den Otternhäger Heimatforschern: Sie sind die ersten, die die Konsequenzen gezogen haben: Sie feierten in den vergangenen Tagen den 801. Geburtstag ihres Ortes.
Die Urkunde, die im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Hannover, verwahrt wird, haben wir für die Ausstellung ausgeliehen. Sie ist nun knapp zwei Wochen lang für jedermann zu sehen. Alle anderen Dokumente, die Sie in der Ausstellung sehen, gehören dem Stadtarchiv, das vom Archiv der Region treuhänderisch verwahrt wird.
Die ausgestellten Dokumente sollen einen Einblick in die Stadtgeschichte und ihre Quellen ermöglichen. Sie sollen punktuell und schlaglichtartig einige ausgewählte Themen beleuchten. Die Auswahl ist natürlich subjektiv und erstreckt sich auf folgende Sachbereiche:
1. Die „Geburtsurkunde“, die ich soeben vorgestellt habe.
2. Die Lage der Stadt.
3. Die Gestalt der Stadt im Grundriss.
4. Die Gestalt der Stadt im Aufriss.
5. Die Verfassung.
6. Die Bürger – Geburt, Heirat, Tod.
7. Die Bürger – Verhalten gegenüber Minderheiten.
8. Die Bürger – Zuwanderer.
9. Der Zweite Weltkrieg.
10. Die Schule und die Bildung.
11. Die Wirtschaft und die Umwelt – das Beispiel Torfgewinnung und Torfverwertung.
12. Die Vereine.
Ziel der Ausstellung ist es,

denjenigen Besuchern, die sich noch nicht mit der Stadtgeschichte befasst haben, zu zeigen, wie vielfältig und interessant die Geschichte unserer Stadt ist,
bei den Besuchern Neugier auf „mehr“ zu wecken und den einen oder anderen zur intensiveren Beschäftigung mit der Stadtgeschichte zu bewegen,
den Besuchern zu zeigen, dass sie im Stadtarchiv die einschlägigen Quellen finden können.
Es sollte möglich sein, dass bei der breit gestreuten Thematik jeder Besucher etwas findet, an dem sein Augenmerk hängen bleibt. Die Dokumente sind beschriftet und vielfach erläutert. Auch in diesem Falle gilt: Archivalien sind vor allem Schriftzeugnisse, die gelesen werden müssen, was nicht mühelos vonstattengeht. Das gilt für alte Handschriften ebenso wie für Karten und Pläne oder für Bilder. Doch die Mühe wird belohnt durch die Freude über den Erfolg beim Enträtseln. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Enträtseln.
Bevor ich nun schließe, möchte ich mich bei allen zu bedanken, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben – namentlich bei den Herren Berning, Bönig und Post – und gebe das Wort nun weiter an Herrn Bückmann.